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SZ am Sonntag vom 30.05.2004

„Unsere Leuchttürme sind kleine Lichter“

Arnold Vaatz. Dresdens Bundestagsabgeordneter über die chinesische Sprache, lange Wege und Deutschlands Mängel

Von Ihnen ist bekannt, dass Sie Chinesisch lernen. Wieviel können Sie inzwischen, und ver­wenden Sie es schon in Ihrer Arbeit?

Chinesisch lernen ist zu viel gesagt. Richtig ist, dass ich einige Zeichen und Sätze schrei­ben kann, die ich aber nicht auszusprechen vermag. Ich weiß nur, was sie auf Deutsch be­deuten. Wieviel Zeichen ich kenne, habe ich nie gezählt, vielleicht etwa ein- bis zweihundert. Ich habe mich mehrmals in China auf­gehalten und fand diese marginalen Kenntnisse zu meiner Orientierung sehr hilfreich.

Sie schreiben auch an einer Sächsischen Geschichte. Wann wird sie erscheinen?

In der Tat habe ich in den beiden letzten Sommerpausen jeweils hundert Seiten über die mitteldeutsche Geschichte niederge­schrieben. Das erste Heft führt bis zum Jahr 1125, das zweite bis 1485. Beide habe ich jeweils zwischen Weihnachten und Neujahr in der Landesbibliothek mit den Quellen abgeglichen. Sie sind dem Text nach fertig, aber mir fehlt die Zeit, die zur Illustration notwendigen Landkarten herzustellen und Fotos beizufügen. Das könnte eine Aufgabe für meinen Ruhestand sein. Am Ende sollen etwa acht Bände mit je 100 Seiten entstehen. Der dritte ist in Arbeit und behandelt die Reformationszeit, das so genannte „lange 16. Jahrhundert“. Aber wo ich die Zeit dafür hergenommen habe, weiß ich immer nur hinterher.

In Sachsen und Ostdeutschland wird fast täglich von Abwanderung und Konkursen berichtet. Nun will der Bund auch noch das Geld für den Aufbau Ost kürzen. Gibt es für die neuen Bundesländer Anlass zu existenziellen Sorgen?

Ja. Die Regierungen im Osten haben sich auf die Zahlung der im Solidarpakt II vereinbarten 156 Milliarden Euro verlassen und ihre mittelfristige Finanzplanung darauf gebaut. Sollten die Bundesmittel für die "Gemeinschaftsaufgabe Ost“ wirklich bis zu 65 Prozent gestrichen werden, wie es jetzt debattiert wird, wäre den ostdeutschen Ländern ein Großteil ihrer Planungssicherheit entzogen.

Die Infrastruktur im Osten ist heute teilweise moderner als im Westen, die Löhne sind niedriger und die Arbeitszeiten länger als dort. Kann man da überhaupt noch von schlechteren Standortbedingungen im Osten reden?

Leipzigs gescheiterte Olympia-Bewerbung hat es deutlich gezeigt: infrastrukturell ist der Osten nach wie vor im Nachteil. Der Nachholbedarf ist riesig. Dabei können große Städte wie Leipzig und Dresden nicht einmal als Maßstab für den ganzen Osten gelten.

Wo liegen in Sachsen derzeit die größten Schwachstellen?

Es gibt eine Reihe offener Bauvorhaben. In Sachsen sind das der Ring um Leipzig und die Autobahn Chemnitz-Leipzig. Wenn der schnellste Weg von Chemnitz nach Leipzig immer noch der auf der Autobahn über Dresden ist, kann ich das nicht als exzellenten Standort verkaufen. Solange man die regionalen Wirtschaftsräume im Osten nicht zu sammenfassen kann und es zwischen Städten dieser Größenordnung keine Kommunikation gibt, wie sie im Westen selbstverständlich ist, wird man im Osten keine guten Bedingungen für Investitionen haben.

Ist Sachsen mit seiner Randlage und an der Grenze zu Polen und Tschechien benachteiligt?

Auf jeden Fall. Sachsen befand sich bisher verkehrstechnisch in einer Sackgasse. Die Autobahnen von Hannover oder München nach Berlin führen über andere ostdeutsche Länder, die daher für den Ausbau dieser Strecken nicht groß kämpfen mussten. Sachsen dagegen liegt nicht automatisch an den Verkehrslinien nach Berlin. Die Autobahnen nach Görlitz oder Prag mussten wir deshalb hart erkämpfen. Sachsen muss auch einen weiteren Nachteil verkraften: Wesentliche Wachstumsräume in den neuen Bundesländern liegen in den ehemaligen Grenzgebieten zum Westen. Diese Räume reichen jeweils etwa 50 Kilometer in die neuen Länder. Mittelständler aus dem Alt-Bundesgebiet erweitern hier ihre Firmen mit wenig Aufwand nach Osten und schaffen Arbeitsplätze. Sachsen hat aber nur 30 Kilometer Grenze zu Bayern. Vergleichen Sie mal Görlitz und Plauen: Da sehen Sie deutliche Unterschiede im Wirtschaftswachstum.

Was können denn ostdeutsche Kommunen noch tun, die kaum Einnahmen haben?

Sie beschäftigen immer noch 105 Prozent Angestellte im öffentlichen Dienst im Vergleich zum bundesdeutschen Schnitt. Das ist nicht zukunftsfähig. Und im Jahr 2007 sollen die ostdeutschen Bediensteten außerdem soviel verdienen wie ihre Kollegen im Westen. Das ist schön für sie. Nur: diese Gerechtigkeitslücke zu schließen heißt, eine andere aufzureißen, denn die Beschäftigten des Privatgewerbes im Osten bleiben in den nächsten Jahren auf Einkommen von 20 bis 30 Prozent unter Westniveau sitzen. Dabei zahlen sie mit Steuern den öffentlichen Dienst.

Die hohen Gehälter im öffentlichen Dienst sollen die Abwanderung gen Westen verhindern.

Ich bestreite, dass dieses Argument korrekt ist. Die öffentlich Beschäftigten haben als Einzige das Privileg eines sicheren Arbeitsplatzes. Also bleiben sie. Doch diejenigen, die den öffentlichen Dienst bezahlen, die auch wegen der Steuerlast perspektivisch nicht an das Westniveau herankommen werden und deren Arbeitsplatz wackelt, ziehen gen Westen, wenn ihr Unternehmen schließt. Auf diese Weise verlieren wir Leute.

Taugt die Leuchtturm-Förderpolitik Sachsens, um den Wegzug zu verhindern?

Ja, denn Unternehmen sind nicht beliebig verfügbar, und wenn ein Manager Standorte in Europa vergleicht, dann denkt er eben in der Regel an Dresden oder Leipzig und eher selten an die Lausitz. Das kann ich nicht ändern. Wir dürfen uns auch keinen Täuschungen hingeben. Diese so genannten Leuchttürme in Sachsen sind im internationalen Wettbewerb kleine Lichter. Dresden oder Leipzig spielen noch keinesfalls in der Liga von Paris, Frankfurt am Main oder den lombardischen Städten Italiens. Wir haben das Niveau Nürnbergs, wenn überhaupt. Wir können auch nicht sagen, ob die so genannten Leuchttürme in Dresden sich tatsächlich langfristig halten, aber wir müssen alles dafür tun. Wenn wir nur eine Sekunde nachlassen, vergrößert sich der Abstand zwischen unseren Leuchttürmchen und den Boom-Zentren Europas in einem Tempo, dass wir das Rennen nie mehr aufholen können.

Ist der Wettbewerb nicht ohnehin verzerrt, etwa durch die Förderung westdeutscher Städte über die Steinkohlesubventionen?

Diese Subvention ist tatsächlich ein Relikt einer übersättigten Gesellschaft und eine große Ungerechtigkeit. Es ist nicht plausibel, dass ein Textilarbeiter in einem vom Konkurs bedrohten Unternehmen in Zittau Steuern zahlt, um den Arbeitsplatz eines Steinkohlenkumpels an der Ruhr zu sichern. Dort arbeitet zudem nicht mal mehr die Generation, deren Jobs gesichert werden sollten, sondern bereits die nächste. Wir haben im Osten nach der Wende 134 000 Arbeitsplätze im Braunkohlebergbau auf ein Zehntel reduziert. Die Leute fragen mit Recht: Wieso müssen wir subventionsfrei arbeiten und an Rhein und Ruhr bezahlt man Auslauf-Programme über 30 Jahre? Die Geschichte muss schnell beendet werden.

Zuwanderung gilt als ein Zaubermittel, um Experten ins Land zu bekommen. Wie wird Deutschland im Ausland wahrgenommen?

Für ganz Ostdeutschland wurden nicht einmal tausend Greencards ausgegeben. In Südafrika oder selbst China kommt im Augenblick kaum jemand auf die Idee, nach Deutschland zu gehen. Die Bundesrepublik bietet ausländischen Fachleuten einfach keine Perspektiven. Günstige Steuersätze, wie in Irland, Amerika oder sogar Estland, wirken viel magnetischer als das Absicherungssystem der Bundesrepublik. Diejenigen, mit denen ich gesprochen habe, sind mit dem ganzen geistigen Klima in Deutschland nicht einverstanden. Am Land klebt das Image einer überalterten Gesellschaft, die fixiert ist auf ihre Rente und soziale Sicherheit. In anderen Ländern gibt es dafür oft nicht mal Begriffe. Wer aus Polen oder den neuen EU­Staaten kommt, denkt nicht an soziale Netze. Er will etwas aufbauen, eine Firma gründen. Aber wer das bei uns machen will, gerät in ein Dickicht, wo die menschliche Kraft oft nicht reicht, um bei dem Vorsatz zu bleiben.

Sachsens Ministerpräsident Milbradt schlug kürzlich vor, aus Sachsen ein Testland zu machen, in dem weniger reguliert und verwaltet wird. Führt dieser Weg aus der Misere?

Angesichts des Stillstandes im Osten seit 1997 halte ich es für legitim, dem Osten die Freiheit zu lassen, Veränderungen anzuschieben, auch wenn die Westländer diese als nicht zielführend erachten. Einige Sonderregelungen für Ostdeutschland haben sich hervorragend bewährt. Die Planung des Leipziger Flughafens hätte beispielsweise ohne das Beschleunigungsgesetz zum Bundesverkehrswegeplan 25 Jahre gedauert. Solche Zeiträume treiben den Osten in die Stagnation. Lässt man uns nicht selbst entscheiden, wird der Abstand Ost-West zementiert.

Sollten die Länder mehr Kompetenzen haben?

Ich hätte nichts dagegen. Die Länder im Osten brauchen größere Gestaltungsspielräume. Uns geht es schlechter als dem Westen und wir brauchen die Kompetenzen sofort, unabhängig davon, wie die anderen Länder über diese Notwendigkeit denken.

Wächst das Gewicht des Ostens, wenn Angela Merkel Kanzlerkandidatin wird?

Mit Sicherheit.



Das Gespräch führten Katlen Trautmann und Stefan Melle

 

Katlen Trautmann • Tel.: 0351 31 777 81 • Fax: 3222 375 4 357 • Funk: 0171 26 66 354 • Email: katlen.trautmann@t-online.de

 
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