
Sächssiche Zeitung
4. April 2007
Ein Pilotprojekt in der Messestadt weicht das Duale System auf
Von Katlen Trautmann
Mit Joghurt-Becher-Spülen, Milchtüten-Waschen und Verpackungen-nach-Grünem-Punkt-Sortieren in Privathaushalten könnte es bald aus sein. Die Stadt Leipzig hat den ersten Schritt zur Abschaffung des Dualen Systems getan. Ein Pilotversuch namens „Gelbe Tonne plus“ erweist sich als überaus erfolgreich. „Wir wollen die Tonne auch nach Ende des Projekts am Leben erhalten“, sagt der Leiter des Eigenbetriebes Stadtreinigung, Frank Richter.
Schrott, Sieb, Spielzeug
Seit September 2004 dürfen die Leipziger mehr Dinge in die Gelbe Tonne werfen als die meisten Bundesbürger: Spielzeug, ausgediente Pfannen, Radiowecker, Küchensiebe aus Plast oder den alten Zahnputzbecher. Kunststoff, Metall, Kleinelektronik – Hauptsache, es ist trocken. „Das Projekt will Grenzen aufheben, die Laien ohnehin schwer verstehen“, sagte Hans-Peter Repnik, Vorstandsvorsitzender des Entsorgers Duales System Deutschland AG, beim Start. Die Leipziger können Vorreiter sein, weil die Sero Leipzig GmbH, 100-prozentige Tochter der Alba, hier eine der modernsten Abfallsortieranlagen Deutschlands gebaut hat und die Abfallverwertung Leipzig GmbH sie betreibt.
Magnete, Maschinen, Förderbänder, Infrarotkameras und Gebläse erfassen und trennen Abfall schneller, genauer und damit billiger als der Mensch. „Sogar Kunststoff lässt sich auf diese Weise sortenrein trennen“, so Frank Richter.
Analysen des Leipziger Hausmülls hatten gezeigt, dass in den grauen Tonnen pro Einwohner und Jahr bis zu elf Kilo Wertstoffe zusätzlich landeten. Acht Kilo – 70Prozent – davon wandern seit Start in die „Gelbe Tonne plus“. Befürchtungen, wonach die neuen Tonnen stärker als zuvor vermüllt würden, erfüllten sich nicht. „Deutlich mehr Verpackungen und stoffgleiche Nichtverpackungen gelangen in die Gelbe Tonne – parallel dazu weniger nicht verwertbare Reste“, bilanziert Uwe Rantzsch, Chef von Sero Leipzig. Es sei nicht nur mehr recycelt worden als im herkömmlichen System, Sortierung und Verwertung der zusätzlich eingesammelten Materialien seien auch weit preiswerter als eine Beseitigung mit dem Restmüll. „Sowohl die Stadt als auch DSD können sparen“, resümierte Richter.
Die „Gelbe Tonne plus“ steht auf 45000 Leipziger Grundstücken. „Sie wird als Erleichterung empfunden“, erklärt Richter. Der finanzielle Nutzen für die Bürger halte sich mit einem geschätzten Sparpotenzial von 50 Cent pro Jahr und Kopf zwar noch in Grenzen, doch die Zukunftsmusik klingt lieblicher.
Angesichts steigender Rohstoffpreise wird Zivilisationsmüll zunehmend als Energie- und Stofflieferant interessant. Experten sprechen bereits von „urban mining“ – städtischem Bergbau. Die Weltmarktpreise für Aluminium haben beispielsweise um zwölf Prozent angezogen.
Gebühren könnten entfallen
Ein Wirbelstromabscheider am Eingang einer Müllverbrennungsanlage kann Dosen, hauchdünnes Aluminium aus Chipstüten, und sogar Pfannen und Toaster leicht erfassen. Bei solchen Aussichten möchten private Entsorger sich einen Anteil am Abfall sichern. Eine Tonne Hausmüll hat zudem den selben Brennwert wie 200 Liter Öl.
„Wenn sich der Preis für fossile Energie verdreifacht, wird sich die Abfallwirtschaft selbst finanzieren. Die Müllgebühren könnten dann abgeschafft werden“, sagte Michael Kern, Geschäftsführer des Witzenhausen-Instituts für Abfall, Umwelt und Energie GmbH nahe Kassel.