Überall Gesichter
Von Katlen Trautmann
Mutter Gottes auf Käsebrot
Die Amerikanerin Diana Duyser sorgte mit einem speziellen Erlebnis für Schlagzeilen. Die Schmuckdesignerin erblickte 1994 eines Morgens auf ihrem Käsetoast Flecke und interpretierte sie als Antlitz der Mutter Gottes. Die gegrillte Brotscheibe wechselte zehn Jahre darauf bei einer Versteigerung im Internet- Auktionshaus ebay für rund 21000 Euro den Besitzer. Das belegt, dass Duyser mit ihrer Wahrnehmung nicht allein dasteht.
Neurobiologen und Computerexperten nähern sich der Erklärung auf unterschiedlichen Wegen. Doris Tsao von der Universität Bremen geht davon aus, dass das Gehirn Gesichter anders als andere Objekte aufarbeitet. Sie hatte zunächst nach einem für die Gesichtserkennung zuständigen Hirnareal gesucht.
In Tests wurden dafür Makaken-Affen Früchte, Schnickschnack, Bilder und Gesichter gezeigt und mittels Magnetresonanz- Tomographie die Gehirnaktivität beobachtet. Tsao fand drei Zellregionen im Schläfenlappen, die besonders auf Gesichter eingestellt schienen.
„Wir waren gleich am ersten Tag geschockt“, erinnert sich Tsao. „Zelle für Zelle reagierte auf Gesichter, auf andere Objekte aber nicht.“ Doch manchmal „erkannten“ die Zellen auch Objekte als Gesichter, die jenen nur ähnelten. „Manche Objekte haben bestimmte Merkmale, die diese Zellen der Affen anregten“, beschreibt sie. Die Gehirne meldeten dann Antlitze, wo keine waren.
Wahrnehmungsforscher Pawan Sinha, Erkenntnisforscher vom Massachusetts Institute of Technology, hat solche Merkmale mit Hilfe einer Software zusammengestellt. Dafür wertete er mehrere Hundert Gesichter – vielfältig wie eine Benetton-Werbung – aus. Er fand zwölf Merkmale, anhand derer das Hirn ein Gesicht als solches charakterisiert. Dabei handelt es sich um einfache Zusammenhänge wie die Tatsache, dass der Mund dunkler als die Wangen oder die Augen dunkler als die Stirn sind.
Als Problem sieht Sinha, dass nicht alle Gesichter diese Merkmale aufweisen, einige Gegenstände dagegen schon. Mit anderen Worten, schon die Flecken einer gescheckten Kuh können ein Gesicht suggerieren. Computer zur Gesichtserkennung mit dieser Software schlagen folgerichtig mitunter falschen Alarm.
Vorteil durch Information
Takeo Watanabe von der Boston University hält das Phänomen des „Gesichtssehens“ für das Resultat eines Lernprozesses infolge der Vielzahl der Gesichter, denen die meisten Menschen täglich begegnen. Die schiere Menge genüge dem Gehirn, um „falsch positive“ Signale zu geben. Das mag ein Überlebensvorteil gewesen sein. Wenn man in der Vorzeit lebte, könnte es hilfreich gewesen sein, überall Tiger zu sehen, beschreibt der Neurowissenschaftler der „New York Times“ die Vorgänge.
In den Augen von Pawan Sinha ist die übersensible Reaktion auf Gesichter sowohl angeboren als auch erlernt. Sie stellt eine evolutionäre Anpassung dar. Der Blick auf ein Gesicht liefere so viel Informationen über Gefühlszustand, Gesundheit und andere Eigenschaften, dass es vorteilhafter sei, auch Reize als Gesichter zu interpretieren, die strengen Kriterien nicht entsprechen, sagte Sinha der gleichen Zeitung. Ein Gesicht zu übersehen, berge weit mehr Nachteile, als ein Nicht-Gesicht als solches zu deklarieren.