Sächsische Zeitung, 19. Februar 2008

Dresden. Bei amerikanisch-deutschen Wirtschaftstreffen spricht man mitunter Klartext. EU-Kommissar Günter Verheugen brachte dabei aus europäischer Sicht auf den Punkt, wie sich die Partner besser mitteilen können: „Die Europäische Union wird verstehen müssen, dass die USA nicht immer brutal und dominant sind. Und die USA werden einsehen, dass Europa nicht immer ignorant und feige ist“, sagte der EU-Kommissar beim elften US-German Round Table (eine Art runder Tisch) am Sonntag in der Gläsernen Manufaktur von VW in Dresden.
Das Treffen wird jährlich vom Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), der Deutschen Bank und der Commerzbank organisiert. Vier US-Kongressabgeordnete, der US-Botschafter in Deutschland, William Timken, sowie mehr als 70 Firmenchefs und Politiker waren zu dem Spitzengespräch gereist.
Angesichts des Wettbewerbs aus Richtung Asien sprachen sich die Teilnehmer für einen engeren Schulterschluss zwischen beiden Seiten des Atlantiks aus. In den Diskussionen offenbarte sich ein differenziertes Bild der Situation der deutsch-amerikanischen Wirtschaftsbeziehungen. Die SZ erklärt den Stand der Dinge.
Gerät die US-Wirtschaft in eine Rezession?
Es wird keine Rezession geben“, sagt Fred Irwin, Präsident der American Chamber of Commerce in Deutschland (Am-Cham). „Nein“, sagt auch der US-Kongressabgeordnete Jim Sensenbrenner (Republikaner). Lediglich drei Branchen seien Irwin zufolge in Schwierigkeiten: die Finanzdienstleister, das Baugewerbe und der Automobilbau. „Wir haben keine Wirtschaftskrise, sondern eine Vertrauenskrise“, betont Irwin.
Ziehen die USA die deutsche Wirtschaft nach unten ?
„Wir erwarten keine überbordenden Auswirkungen für die deutsche Wirtschaft“, sagte der Präsident des Bundesverbandes deutscher Banken, Klaus-Peter Müller. Die deutsche Volkswirtschaft reagiere „robust“. Ein Wirtschaftswachstum von 1,7 Prozent in Deutschland nannte Müller akzeptabel. „Wir werden nicht sehr stark betroffen sein“, glaubt auch Irwin. Deutsche Exporteure leben seit drei Jahren mit einem starken Euro und einem schwachen Dollar, und jedes Jahr verkünden sie wachsende Exporte auch in die USA. „Solange der Wechselkurs unter 1,50 US-Dollar pro Euro liegt, wird sich die Situation für die deutschen Exporte nicht sehr verschlechtern“, so Irwin. Für sächsische Exporte sieht der Chef der US-Handelskammer keine Probleme, da sie nicht sehr stark in Richtung USA orientiert seien. Auch sächsische Automobilzulieferer würden in erster Linie deutsche Autobauer beliefern.
Was tuT Die US-Regierung für mehr Stabilität?
Die US-Regierung hat ein Konjunkturpaket von umgerechnet 116 Milliarden Euro verabschiedet. Davon sollen 82 Milliarden Euro in Privathaushalte fließen. 70 Prozent des US-Bruttosozialprodukts hängen vom privaten Konsum ab. Sozial schwache Schichten sind von der Krise besonders betroffen. Bei einer schlechteren wirtschaftlichen Entwicklung in den USA werde die Notenbank die Leitzinsen weiter senken, ist sich Irwin sicher. Er liegt derzeit bei drei Prozent. Ein Niveau von zwei Prozent gilt als möglich.
Welcher US-Kandidat ist Favorit Deutscher Chefs?
Die meisten Blicke richten sich auf den Demokraten Barack Obama, belegten die Fragen in den Foren. Man erhofft sich von einem„Präsidenten Obama“ weniger amerikanische Alleingänge, mehr multilaterale Gespräche, Sensibilität für überseeische Belange und weniger Vorgaben für den Handel. Hillary Clinton (Demokraten) und Senator John McCain (Republikaner) traut man scheinbar weniger Innovationsfreude zu.
Wo sehen deutsche Firmen derzeit ihre Position?
Dieses und eventuell auch das nächste Jahr könnten für die Wirtschaft „kritisch“ sein, sagen BDI-Präsident Jürgen Thumann, Bayer- Schering-Aufsichtsrat Hubertus Erlen und Jochem Heizmann, Produktionsvorstand bei Volkswagen. Hintergrund sind die amerikanische Präsidentenwahl und die zum Bundestag 2009. Der VW-Konzern bläst beispielsweise in diesem Jahr mit neuen Modellen in den USA zum Angriff, will dort 800000 VW und 200000 Audis verkaufen. Die Auftragsbücher deutscher Firmen seien gut gefüllt, sagt Müller.
Wie lässt sich der Handel erfolgreicher Gestalten?
EU-Kommissar Günter Verheugen fordert weniger Bürokratie. Der Round Table in Dresden machte sich für Transparenz und gegen Protektionismus sowie für die im April 2007 beschlossenen Rahmenabkommen stark. Mittelständler wären nach eigenen Aussagen schon zufrieden, wenn kostenintensive Auflagen wie das Röntgen von Schiffsladungen in amerikanischen Häfen entfielen.
Müssen deutsche Firmen Staatsfonds fürchten?
BDI-Chef Thumann warnt vor Panikmache. Ihm sei kein Fall bekannt, bei dem ein Fonds ein gut laufendes Unternehmen gekauft und geplündert habe. Gesetze würden zudem in Deutschland sensible Branchen wie Wehrtechnik oder Software beispielsweise für den Maschinenbau schützen. Langfristig müsse man sich aber auf eine stärkere Präsenz ausländischer Investoren einstellen. Schon heute sind bis zu 50 Prozent und mehr Anteile auch von Dax-Firmen in ausländischem Streubesitz. Die USA und Deutschland sollen sich auf ein gemeinsames Vorgehen bei Staatsfonds verständigen, rät der Table in einem Abschlusspapier.
Was prophezeit der BDI für die deutsche Wirtschaft?
Das Wachstum reicht, um bis zu 300000 neue Jobs zu schaffen, so der BDI-Chef. Damit lasse sich die Arbeitslosenzahl auf drei Millionen senken. Thumann sagte, das sei für Deutschland das beste Sozialprogramm. Er sagt: „Wenn er diese Zahl vor zwei Jahren gesagt hätte, hätte man gesagt: Der Typ spinnt.“