Sächsische Zeitung, 12. Januar 2010

Etwa 4700 Fahrzeuge und unzählige Fußgänger überqueren jede Stunde die Kreuzungen rund um den Dresdner Bahnhof Mitte. Sieben Bus- oder Straßenbahnlinien bahnen sich dazwischen den Weg. Autofahrer warten zwei Minuten auf „Grün“. Das Gebiet auf dem 26-er Ring zwischen World Trade Center und Marienbrücke samt seiner Nebenstraßen gilt als das am kompliziertesten zu regulierende der Landeshauptstadt.
Eine Lösung ist jetzt in Sicht. Verkehrwissenschaftler der Technischen Universität Dresden haben eine Steuerung für Ampelnetzwerke entwickelt, dank derer sich Wartezeiten auffällig verkürzen. Das System lässt sich auf jede beliebige Kreuzung anwenden, heißt es.
Im Grunde regelt das dezentrale Netzwerk die Fahrzeugströme wie ein fähiger Verkehrspolizist. Das System prüft, aus welcher Richtung der meiste Verkehr herbeiströmt und gewährt dort Durchlass. „Grüne Wellen entstehen dabei ganz von selbst, wenn sie sinnvoll sind“, sagt Verkehrsingenieur Stefan Lämmer. Er hat das Konzept in seiner Doktorarbeit entwickelt und Andreas Hoppe, den Leiter Verkehrsplanung der Dresdner Verkehrsbetriebe (DVB), damit in helle Begeisterung versetzt. „Zum ersten Mal gibt es eine Lösung, die eine spürbare Verbesserung für den Bereich um den Bahnhof Mitte erwarten lässt“, sagte Hoppe. Denn bislang schalten Ampeln nach einer festen Zeit um, unabhängig davon, wie viele Autos davor warten. Pech für die „quer“ zur Welle fahrenden Fahrzeuge.
Das Grundprinzip des Lämmerschen Systems wirkt zunächst simpel, doch dahinter stecken kluge Ideen. Jede einzelne Ampel erfasst den Verkehr über zwei Detektoren. Ein Sensor registriert die Zahl der wartenden Fahrzeuge und ein zweiter meldet die Menge aus der Ferne anrollender Autos. Busse und Bahnen gelten einfach als Kolonnen aus je 15 Autos.
Den Gegenbeweis angetreten
Die Lichtanlagen einer Kreuzung handeln mit diesen Informationen aus, wo auf Grün zu schalten ist, damit die meisten Fahrzeuge so kurz wie möglich warten müssen. Für Einzelknoten funktioniert die dezentrale Regelung zwar schon länger bestens, bestätigt Stefan Lämmer. Verkehrswissenschaftler waren sich jedoch bislang einig, dass die dezentrale Schaltung bei Kreuzungsnetzwerken versagt, weil sich die Schaltungen verheddern.
Ingenieur Lämmer trat den Gegenbeweis an: Er stabilisiert das Netzwerk durch Regeln, nach denen sich die Schaltungen verschiedener Kreuzungen gegenseitig nicht mehr behindern. Beispielsweise legte er die maximale Wartezeit auf 90Sekunden fest.
In einer Computersimulation gelang es so, Bahnen, Autos und Fußgänger deutlich schneller durch das Testgebiet zu lotsen. Autos kamen neun Prozent flotter durch als bei der klassischen „Grünen Welle“, die Wartezeit für Fußgänger verringerte sich um ein Drittel. Der öffentliche Nahverkehr musste sogar nur halb so lange warten.
Lämmer sagt, das System komme auch mit starken Schwankungen des Verkehrs hervorragend zurecht. Er hat es zusammen mit seinem Doktorvater zum Patent angemeldet. Die DVB prüfen das System derzeit auch für andere verstopfte Kreuzungssysteme, beispielsweise den Dresdner Schillerplatz. Zudem hätten Städte aus ganz Europa bereits Interesse an seinem Modell signalisiert, sagt Stefan Lämmer.