Borverbindung setzt reichlich Wasserstoff bei Raumtemperatur frei (FAZ vom 21. 04. 2004)

FAZ 21. April 2004
Energie aus der Tablette
Borverbindung setzt reichlich Wasserstoff bei Raumtemperatur frei
Das Auto der Zukunft tankt womöglich kein Benzin oder Diesel mehr, sondern bekommt vielleicht Tabletten aus Borazan verabreicht. Denn die Bor-Stickstoff-Verbindung kann bis zu vierzehn Gewichtsprozent an Wasserstoff freisetzen. Das wäre ausreichend, eine Brennstoffzelle zu betreiben, die wiederum den Strom für einen Elektromotor lieferte. Ob Borazan die technischen Voraussetzungen als Wasserstofflieferant für eine breite Anwendung erfüllt, wird derzeit in der Arbeitsgruppe von Gert Wolf an der Technischen Universität Bergakademie Freiberg untersucht.
Eine der Schwierigkeiten bei der Nutzung von Wasserstoff als Energieträger liegt im Transport und in der Speicherung des flüchtigen Gases. Lange galten die Metallhydride als aussichtsreiches Speichermedium. So können Natrium-Aluminium-Verbindungen bis zu neun Prozent ihrer Masse an Wasserstoff aufnehmen. Doch das hohe Eigengewicht der Metallhydride steht der technische Nutzung bislang im Wege. Ammoniak kann Wasserstoff in weit höherem Umfang zur Verfügung stellen. Doch wegen seiner toxischen Eigenschaften ist die Nutzung der Stickstoffverbindung umständlich. Das Speicherverhalten von Nanoröhrchen aus Kohlenstoff hat ebenfalls die Erwartung nicht erfüllt.
Einen Ausweg könnte nun der anorganische Feststoff Borazan bieten. Ein Borazanmolekül besteht aus je einem Bor-, einem Stickstoff- und sechs Wasserstoffatomen.
Auf zwei Wegen läßt sich Wasserstoff aus Borazan gewinnen, wie die Forscher um Wolf herausgefunden haben. Einer ist die thermische Spaltung. Von 100 Grad an lösen sich die chemischen Bindungen im Borazanmolekül, und es entstehen unter anderem zwei Wasserstoffmoleküle. Die frei werdende Wärme hält die Reaktion in Gang. Ein anderer Weg ist die Umsetzung von Borazan mit Wasser bei Raumtemperatur unter Anwesenheit eines Katalysators. Dabei gehen aus einem Borazanmolekül sogar drei Wasserstoffmoleküle hervor. Zurück bleibt Borsäure, die als umweltverträglich gilt.
Die Automobilindustrie zeigt an der Wasserstofftechnik großes Interesse. Dies beruht auf zwei Umständen: Zum einen entsteht als Abgas hauptsächlich Wasserdampf. Zum anderen wird beim Verbrennen von Wasserstoff in Brennstoffzellen vergleichsweise viel Energie freigesetzt. Schätzungen zufolge könnte ein Elektroauto mit einer „Tankfüllung“ von 40 bis 50 Kilogramm Borazan - je nach Strecke und Tempo - rund 500 Kilometer weit fahren, was also durchaus einem Wagen mit Verbrennungsmotor vergleichbar wäre.
Außer Elektroautos ließen sich auch kleinere Geräte wie Handy, Laptop oder Akkuschrauber, die Strom aus einer Brennstoffzelle beziehen, mit Wasserstoff aus Borazan betreiben. In zwei Jahren könnten die ersten Geräte mit Borazantabletten zur Verfügung stehen, schätzen die Freiberger Forscher.
KATLEN TRAUTMANN