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SZ am Sonntag vom 04.07.2004

SZ am Sonntag 04.07.2004

„Er ist kein Ellefelder“ - ein Ort schweigt

Stille. Kaum jemand kennt Ullrich Vogel, den Bombenleger vom Dresdner Hauptbahnhof

Es ist ein normaler Ort im Vogtland. 3200 Einwohner. Gartensparten und Chor, Kaninchenzüchter und Fußballverein. In Ellefeld ducken sich die Häuser verschlafen rechts und links der Hauptstraße. Reisebüro, Sparkasse, Rathaus - alles lässt sich mühelos zu Fuß erreichen. Das zartgelbe Haus dazwischen steht halb leer. Die Jalousien im Erdgeschoss sind heruntergelassen. Das bleibt vorerst auch so. Das Haus hat der 63 Jahre alte Finanzmakler Ulrich Vogel auf eigene Kosten saniert. In den Räumen des Parterre betrieb er sein Büro. Und genau hier soll er rund zwei Wochen lang eine selbst gebaute Bombe versteckt haben. Genau den Sprengsatz, der am Freitag vor Pfingsten vergangenen Jahres auf einem belebten Bahnsteig des Dresdner Hauptbahnhofs gefunden und entschärft wurde. Ulrich Vogel steht seit Juni vor dem Dresdner Landgericht. Der Ort Ellefeld hat ihn seither offenbar aus dem kollektiven Gedächtnis gestrichen.

Rekordumsätze in den Hotels

Hunderte Reisende waren am Tag des Bornbenfundes in Dresden unterwegs ins Pfingstwochenende. Stundenlang stand der mit Sprengstoff, Schotter, Schnüren und einem Wecker voll gestopfte Koffer auf dem frequentierten Bahnsteig. Der Anschlag war kalkuliertes Mittel zum Zweck - die Deutsche Bank sollte damit um 112 Millionen Euro erpresst werden. Acht wohl formulierte Briefe hatte der Erpresser an das Bankhaus gerichtet, an die „Menschlichkeit und Klugheit" der Vorstände appelliert und für den Fall der Weigerung mit „Furchtbarem“ gedroht. "Versuchten Mord“ und "schwere räuberische Erpressung“ nennt der Staatsanwalt solche Pläne unter anderem.
Die Tage nach der Festnahme im vergangenen September rücken Ellefeld ins Licht der Öffentlichkeit. Reporterteams belagern das Wohnhaus des Maklers, Bekannte und Nachbarn. „Wir sind nicht zum Arbeiten gekommen“, erinnert sich Bürgermeister Heinrich Kerber, der am laufenden Band Interviews gab. Beide Hotels am Ort verzeichnen Rekordumsätze. Wenig später ist der Trubel dem Alltag gewichen. Schade eigentlich, wie einige Ellefelder finden. „Nach drei Tagen war alles vorbei“, erzählt Regina Kropp von der „Caféstube am Rathaus“, die wenige Meter neben Vogels Wohnhaus liegt. Sie berichtet bereitwillig und ausführlich, wie der Finanzmakler oft Brötchen bei ihr holte. "Ein höflicher Mensch.“ Mehr als guten Tag und guten Weg habe man nicht gewechselt. „Er war nicht von hier.“ Seine Partnerin habe sie dagegen öfter gesehen. „Sie kam nachmittags häufig mit dem Bus und lief an meinem Fenster vorbei. Später nicht mehr.“ Den Ereignissen verdankt Regina Kropp den ersten und bislang einzigen Fernsehauftritt ihres Lebens. „Zufällig konnte ich beim MDR davon eine Kassette mitschneiden.“ Im Reisebüro im Nachbarhaus des Maklers will die Beraterin sich an ihn kaum erinnern. Und überhaupt: Genaues wisse man nicht.

"Er hatte keine Freunde"

Das öffentliche Leben geht nach Vogels Festnahme unverändert seinen Gang. Niemand scheint ihn zu vermissen, Lücken bleiben keine. Bürgermeister Kerber wundert das nicht. „Er hat sich an nichts beteiligt, hatte keine Freunde.“ Er habe Vogel nur als einen „unscheinbaren und korrekten Menschen“ wahr genommen. Woran er sich erinnert: „Kein Handwerker hat sich je beschwert, dass Vogel ihn nicht bezahlt hätte. Ich habe ihn für seinen Mut zur Sanierung des Hauses bewundert. Hat er fein gemacht.“ Galt der Makler als Außenseiter? Geschnitten habe er Vogel nicht, so Kerber -„weil er ja nirgends aufgetreten war“. Nachbarn erzählen Gleiches. Und immer wieder ist der Satz zu hören: "Er war kein Ellefelder.“ Zwar sei Vogel in Falkenstein geboren, sagt der Bürgermeister, doch das zähle nicht. Schließlich habe Vogel lange im Westen gelebt. Mehr nicht. Für ihn ist damit alles gesagt.

Selten Interesse oder Erregung

Die wenigen Bekannten des Finanzmaklers verlassen Ellefeld nach dessen Verhaftung fluchtartig. Vogels Partnerin zieht nach Wiesbaden, igelt sich ein. „Mein Leben ist zerbrochen. Das habe ich nicht verkraftet“, sagt sie. Ihre Schwester Gudrun L. verlässt die Einliegerwohnung im Ellefelder Hause Vogels, zieht in einen schmucken Neubau in Falkenstein und richtet sich ein neues Leben ein.

Das Verfahren vor dem Dresdner Landgericht lässt die Ellefelder kalt. Gerade, dass es zur Kenntnis genommen wird. "Das geht allen ein Stück weit vorbei“, umschreibt der Bürgermeister die Stimmung im Ort. „Da ist nirgends die Rede von.“

Das Schweigen beruht durchaus auf Gegenseitigkeit. Zwar hat Vogel nach seiner Verhaftung Polizeibeamten die Tat gestanden, vieles über seine Motive erzählt. Im Prozess kommt über die Lippen des Maklers indes kein Ton. Stumm und aufmerksam lauscht Vogel allen Debatten, zeigt selten Regung oder schaut Zeugen an. Ausgerechnet im Gerichtsaal jedoch bekommt seine Starrheit Risse. Seine zehn Jahre jüngere Schwester, eine resolute Zahnärztin aus Nordrhein-Westfalen, schildert ihre Betroffenheit ob der Entdeckung des Missbrauchs von Psychopharmaka durch ihren Bruder. Sie hatte beim Aufräumen seiner Wohnung einen Stapel Rezepte über hohe Dosen Psychopharmaka entdeckt. Als Ärztin könne sie die Wirkung solcher Dosen einschätzen. Vogel schaut unverwandt zu ihr. Nach der Verhandlung dürfen die Geschwister vor der Anklagebank einige Worte wechseln. Anwälte und Beamte umringen beide während des Wortwechsels. Still und zart streichelt Vogel seiner Schwester unentwegt die Wange. Es wirkt beinahe wie Trost.

KATLEN TRAUTMANN

 

Katlen Trautmann • Tel.: 0351 31 777 81 • Fax: 3222 375 4 357 • Funk: 0171 26 66 354 • Email: katlen.trautmann@t-online.de

 
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