
SZ am Sonntag 06.06.2004
Der Schatz von Göda
Sammler. Ein Anwalt zeigt orientalische Kunst auf einem Hof in der Lausitz.
Knirschend dreht sich der Schlüssel im Schloss der windschiefen Tür. Dahinter wird der Weg in die ausgebaute Scheune frei. Dem Besucher stockt der Atem. Buddhas und Bodenvasen, Schnabelkannen und Schwerter, Korane und Gewänder aus den entlegensten Ländern des Ostens und Südens fügen sich zu märchenhaften orientalischen Zimmern - mitten in der Lausitz. Unzählige Kunstwerke aus dem Orient hat der Anwalt Ernst-Ulrich Walter in einem maroden Dreiseit-Hof in Göda bei Bautzen versammelt. „Museum für Morgenlandfahrer“ hat er die sagenhafte Kollektion getauft.
„Machen Sie es sich bequem“, ermuntert der hochgewachsene Mann seinen Gast. Yogi-Tee wird ausgeschenkt. Der Körper versinkt im Sessel, altrussische Kirchenmusik umschmeichelt die Ohren. Wo sonst darf man in einem 500 Jahre alten Koran blättern, Thora-Rollen öffnen? Rund 180 orthodoxe Ikonen hat der 84-jährige Walter zusammengetragen, gut 300 orientalische Teppiche - einer wertvoller als der andere - könnten die Böden in Haus und Scheune bedecken. „Heben Sie mal die Armbrust an!“ Wie soll man damit schießen, wo sie kaum zu halten ist? In Ecken schweigen geheimnisvoll japanische Heiligenfiguren.
Die Stücke sind weder geerbt, noch vom Himmel gefallen. Zeit seines Lebens bereiste Walter die arabische Welt und Südostasien, er kennt sie nun wohl so gut wie seinerzeit Sindbad, der Seefahrer. Seine Honorare als Anwalt stecken weder in Grundstücken noch Häusern. Jahrzehntelang finanzierte und organisierte Walter stattdessen Ausgrabungen in der Türkei, beispielsweise in Alexandria Troas, und Marokko.
Unterschrieben vom Zaren
Sein Leben ist ein Abenteuerroman des 20. Jahrhunderts. Die Ahnen mütterlicherseits leben seit zehn Generationen auf Gut Altnaußlitz nahe Dresden und in Göda. Die Mutter heiratete einen Schlesier. In Göda hängt die Urkunde über die Ernennung eines seiner Vorfahren zum Marschall. "Schauen Sie: unterschrieben von Zar Peter dem Großen."
Geboren auf einem Rittergut im Isergebirge, zieht es Ernst- Ulrich Walter früh in die Fremde. „Als 15-jähriger bin ich durch Europa getrampt, bis Neapel“, erinnert er sich. Das Gymnasium prägt ihn: neun Jahre Latein, sieben Jahre Französisch, sechs Jahre Griechisch. Walter nimmt ein Jura-Studium in Breslau auf, kurz darauf beginnt der Zweite Weltkrieg. „Griechenland, Polen, Rumänien, Kaukasus, Stalingrad - vom ersten bis zum letzten Tag war ich dabei.“ Er resigniert nicht über dem Krieg:"Im Kaukasus haben Kameraden und ich auf einem Berggipfel den ‚Prolog im Himmel‘ aus ‚Faust‘ rezitiert.“ Eine abenteuerliche Flucht aus der Gefangenschaft im gestohlenen Wehrmachtswagen endet daheim.
Nach Kriegsende verliert er keine Zeit. „In drei Semestern habe ich alle Scheine gemacht.“ Im April 1946 Heirat, 1952 eröffnet er die eigene Kanzlei, lebt und arbeitet lange in Wupptertal. „Ich wollte nie Richter sein. Als Anwalt ist man frei, kann reden, wie man will." Die erste Reise mit selbst verdientem Geld führt in die Türkei. Vor über 40 Jahren organisiert Walter hier mit Forschern erste Ausgrabungen am Grab von König Antiochos von Kommagene auf einem 2000 Meter hohen Berg nahe dem Euphrat. Rund 80 Mal kehrt er in die Türkei zurück, besucht auch Marokko, Thailand, Sri Lanka. Er übersteht auf hunderttausenden Kilometern Schießereien, Stürme, Fluten. Einige brenzlige Situationen entschärft er diplomatisch. „Ich stehe jedem Volk ohne Vorurteile gegenüber und erwarte auch für mich Toleranz.“ Nur einmal hockt er mit Archäologen stundenlang im Kugelhagel verfeindeter Kurdenstämme.
Die Mutter des Schahs von Persien vertraut Walter. Für sie verhandelt er Pläne für die moderne Stadt „TuranSchah“ im Süden Teherans, kauft für sie ein Haus in Bad Soden und wickelt Verträge in Deutschland und der Schweiz ab. Mitgliedern der Schah-Familie und der Regierung begegnet er bei Essen oder Einladungen häufiger. Seine Frau begleitet ihn oft, schenkt zwei Töchtern das Leben. "Ohne ihr Verständnis hätte ich mein Leben nie so führen können“, sagt er dankbar. Von jeder Tour bringt er Kunstwerke mit. Wie gelangen die seltenen Stücke an den Wächtern des Kuturerbes vorbei nach Deutschland? Walter stapelt tief: „Man muss Wege suchen, Leute kennen …“ Ach so.
Ein Tisch mit Meerestieren
„Mit Gut Göda verbinden mich Kindheitserinnerungen“, verrät der Weltenbummler. Im Oktober 1991 kauft er den Hof, siedelt über. Das bedeutet: Pendeln zwischen der Kanzlei in Wuppertal und der Lausitz. Die Mauern des Wohnhauses ducken sich in den Hof. „Sesam, öffne dich“ möchte man rufen. Drinnen eilt der Blick von Fotos zu Schnitzereien zu einem Tisch von der Größe eines Mühlsteins. Versteinerte Meerestiere formen unter der Glasplatte ein Halbrelief. Weltweit existieren wenige gleiche Stücke. „Die Berber der Wüste im Norden Marokkos suchen Ablagerungen unter dem Wüstensand. Ein Jahr lang dauert das Meißeln eines einzigen Tisches“, so Walter. 260 Tagebücher fassen die Erzählungen über seine Reisen. „Veröffentlichen der Memoiren? Das machen Leute wie Küblböck oder Bohlen“, wiegelt Walter ab. Für ihn käme das nicht in Frage.
Kollektion für Forscher
Ende 2003 gab er nach über 50 Jahren als Anwalt die Kanzlei in Wuppertal auf. Nun füllen Besuche Neugieriger sowie das Ordnen des Schatzes die Tage. Erläuternde Schilder fehlen trotzdem.
Ohne nachzudenken aber erzählt der Weitreisende die Historie jedes Kunstwerkes auf dem Hof. „Sehen Sie, die Namen der Künstler vergessen Sie ohnehin bald. Die Schönheit und Ästhetik des Objekts soll wirken. An jedem haben doch mehrere Menschen lange gearbeitet. Das wird oft übersehen.“ Experten aus ganz Deutschland interessieren sich für den Lauzsitzer Schatz. Archäologen der Universität Münster haben bereits 20 jüdische Grabsteine entziffert. "Ich bin dankbar für mein reiches Leben“, sagt Walter.
Ab Sommer helfen ihm Fachleute vom Dresdner Museum für Völkerkunde, quartieren sich in Göda ein. Laut Kustodin Gudrun Meier haben sie schon die Teppichsammlung katalogisiert, derzeit erfasst eine Kollegin die Siegel. Meier selbst widmet sich den Exponaten aus Afghanistan und Westasien. Die Sammlung bleibt als Privatkollektion in Göda. Meier: „Wir wollen ihr einen Rahmen geben, sie fachlich betreuen.“ Das Museum hätte nichts dagegen, den Bestand zu kaufen, doch dem Freistaat fehlt das Geld. So verhandelt das Museum mit Walters potenziellen Erben, damit die Sammlung nach dessen Tod nicht zerstreut wird.
KATLEN TRAUTMANN