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FAZ vom 11.02.2004

FAZ 11.02.2004

Ein bitterer Beigeschmack
Essen für die Gesundheit: Regeln für „Functional Food“ gefordert

Wenn es um die Ernährung geht, wird scheinbar immer weniger dem Zufall überlassen. Der Markt für sogenannte „Functional Food“, also Lebensmittel, die die Gesundheit der Menschen fördern sollen, floriert kräftig: Vier bis acht Milliarden Dollar jährlich werden damit europaweit umgesetzt. Im Jahr 2010, schätzen Experten, wächst der Markt allein in den Vereinigten Staaten auf rund 49 Milliarden Dollar. Ein nicht nur für die Industrie willkommener Boom. Gehen doch etwa in Deutschland bereits ein Drittel aller Kosten der Krankenkassen auf die Folgen falscher Ernährung, vor allem auf die Folgen der Zuckerkrankheit, auf Fettleibigkeit und durch Fehlernährung geförderte Krebserkrankungen zurück. Doch die ganze Entwicklung bekommt zunehmend auch einen bitteren Beigeschmack. Davor hat jetzt eine international besetzte Forschergruppe unter Leitung von Ruth Chadwick von der Lancaster Universtät in einer Studie gewarnt, die sie im Auftrag der Europäischen Akademie in Bad Neuenahr-Ahrweiler vorgenommen hat.

Die Regierung und andere staatliche Stellen, so die Wissenschaftler, sollten Fehlentwicklungen möglichst rasch entgegenwirken. Dazu gehört, daß die Verbraucher offenbar zunehmend Gefahr laufen, wegen falscher oder unvollständiger Information seitens der Hersteller für sie nutzlose Lebensmittel zu kaufen.

Zu den Functional Food zählen natürliche Lebensmittel, denen entweder ein krankmachender Stoff (etwa Allergene) entzogen oder gesundheitsfördernde Stoffe (beispielsweise Cholesterinsenker) zugesetzt wurden. Lebensmittel ohne Zusätze gehören ebenfalls dazu, wenn deren eigene Bestandteile so behandelt oder umgewandelt wurden, daß sie einen Effekt auf die Gesundheit des Menschen zeigen. Im Grunde gehören also auch völlig unbehandelte Nahrungsmittel in diese Kategorie. Lycopen in Tomaten etwa reduziert Krebsrisiken, Omega-3-Fettsäuren in Fisch die Gefahr von Herzkrankheiten.

Manipulationen zu Marketingzwecken freilich sind vor allem dort anzutreffen, wo der Hersteller gewaltige Summen für die Entwicklung investiert. Ein einzelnes Produkt verschlingt in den durchschnittlich etwa zwei Jahren bis zur Markteinführung rund zehn Millionen Dollar. Die führende amerikanische Verbraucherorganisation CSPI hat 73 Produkte im amerikanischen Markt identifiziert, für die ständig mit wissenschaftlich haltlosen Aussagen zur Gesundheitsverbesserung geworben wurde. Bislang fehlen nach Einschätzung der Wissenschaftler verbindliche Vorschriften über die Verbreitung von gesundheitsbezogenen Aussagen sowie wissenschaftlich gültige Studien über die tatsächliche Wirksamkeit von solchen Produkten nach deren Markteinführung. Wirksamen Schutz gegen ausufernde Behauptungen der Werbung bietet derzeit nur die Sorge der Hersteller - in aller Regel Markenfirmen - um ihren guten Ruf. Auch in der Europäischen Union wird seit vergangenem Jahr mehr Aufklärung der Verbraucher und ein Monitoring nach der Zulassung gefordert, um die Langzeitfolgen der funktionellen Nahrungsmittel abschätzen zu können.

Slogans jedenfalls wie „Senkt den Cholesterinspiegel“ entfalten beträchtliche Suggestivkraft. Ob ein Produkt das Versprechen aber auch hält, können die Laien gar nicht nachprüfen, bemängeln die Wissenschaftler. Der Kauf der meist gegenüber dem unbehandelten original Lebensmitteln teureren Functional-Food-Produkte basiere wesentlich auf dem guten Glauben des Verbrauchers an die jeweilige Marke. Die Informationen der Hersteller hinsichtlich der Risiken werden, ähnlich wie bei Softdrinks oder früher bei Zigaretten, als dürftig eingeschätzt.

In den Vereinigten Staaten und Japan ist die staatliche Genehmigung für Werbeaussagen über gesundheitliche Effekte bereits seit Jahren gesetzlich geregelt. Auch fehlten nach Überzeugung der Forscher hierzulande verbindliche Standards zu Höchstmengen und zulässigen Konzentrationen der gewünschten Substanz. Klinische Studien zu Langzeiteffekten und -wirkungen und darauf basierende Risikoabschätzungen müßten nach Ansicht der Forscher für die Hersteller von Functional Food zur Pflicht werden.

Heute sind es meist gut informierte Frauen zwischen 30 und 50 Jahren, die am ehesten zu Functional Food greifen. Doch diese Käufer sind eigentlich nicht die Bedürftigen, meint Doris Schröder von der University of Central Lancashire Preston, eine der Mitverfasserinnen der Studie. Der Genuß von Phytosterolen etwa, die bei den Frauen hoch im Kurs stehen, ist eigentlich für übergewichtige Männer mittleren und hohen Alters gedacht. Ärzte, Diätberater und Wissenschaftler sollen hier nach dem Willen der Wissenschaftler gezielter aufklären.

In Deutschland wählen Verbraucher hauptsächlich mit Bakterien oder Ballaststoffen (Pro- und Prebiotika) angereicherte Milchprodukte. Probiotika lindern die Symptome von Lactose-Unverträglichkeit und Durchfall. In Finnland gelten Probiotika deshalb als Therapie für Durchfall bei Kindern. Lactobacillus rhamnosus und Saccharomyces boulardii erwiesen sich dabei als besonders effektiv. Auch durch Antibiotika oder Radio-Therapie ausgelöste Diarrhoe wird durch Probiotika geheilt. Ob aber Probiotika generell Krebs und Allergien verhindern können, wie mitunter behauptet wird, müssen weiterführende Studien erst noch belegen. Eine günstige Wirkung auf den Cholesterin-Gehalt im Blut wurden bislang ebenfalls nicht gefunden. Ebensowenig schützen Probiotika nicht vor Reisedurchfällen. Auch Prebiotica (unverdauliche Ballaststoffe wie Oligosaccharide) unterstützen die Darmflora und regen sie zum aktiven Wachstum an. Eine tägliche Überdosierung vor allem kurzkettiger Substanzen jedoch bereitet mitunter Beschwerden: Der Genuß von mehr als zehn Gramm pro Tag kann zu Blähungen, Durchfall oder Bauchschmerzen führen.

KATLEN TRAUTMANN

 

Katlen Trautmann • Tel.: 0351 31 777 81 • Fax: 3222 375 4 357 • Funk: 0171 26 66 354 • Email: katlen.trautmann@t-online.de

 
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