Unsere Regeln müssen verständlicher werden
Herr Minister, verstehen Laien nach Ihrer Ansicht eigentlich noch, was Richter tun?
Das Recht wird immer komplizierter. Die Menschen verstehen das Recht deshalb immer weniger und bekommen mitunter Angst.
Beim Paragraphenpranger im Internet können Bürger und Unternehmer Vorschläge zur Vorschläge zur Abschaffung oder Vereinfachung landesrechtlicher Vorschriften unterbreiten. Was passiert mit diesen Vorschlägen?
Bis heute sind rund 1.800 Hinweise eingegangen. In letzter Zeit werden es immer weniger, so dass wir eine vorläufige Einstellung dieses erfolgreichen Projekts ins Auge fassen. Die
Auswertung der Vorschläge wird fortgesetzt - über 1.000 haben wir schon abschließend behandelt. Aber auch in Zukunft freut sich der Justizminister über gute Ideen zum Bürokratieabbau.
Unternehmen Sie sonst noch etwas gegen die ausufernde Bürokratie?
Wir haben als erstes die Verwaltungsvorschriften im Freistaat gezählt – es gibt etwa 4.500! Bis zum Jahr 2007 möchte wir diese Anzahl auf die Hälfte reduzieren. In Sachsen kontrolliert zudem ein Normprüfungsausschuss, ob eine neue Vorschrift wirklich erforderlich ist.
Was wollen Sie in der Justiz reformieren?
Dort soll das Verfahrensrecht vereinheitlicht werden. Ich möchte eine hochwertig arbeitende erste Instanz bereitstellen. Da jedes Urteil Menschenwerk ist, können Fehler vorkommen, deshalb spreche ich mich für eine Überprüfungsmöglichkeit aus. Allerdings nicht in jeder Bagatelle. Es geht nicht an, dass letztlich bis zu neun ausgebildete Juristen über einen Parkverstoß verhandeln müssen. Gebühren könnten so etwas steuern. Natürlich ist der Zugang zum Recht nicht vom Geldbeutel abhängig - das bleibt auch so. Aber wenn jemand, wie bei manchen Rechtsschutzversicherungen durch Selbstbeteiligung, vor einem Prozess auch nur fünf oder zehn Euro auf den Tisch legen muss, dann denkt er noch mal nach, ob das ihm die Sache wert ist.
Ist das eine Garantie für Bürgernähe?
Lieschen Müller und Ilse Bähnert müssen immer verstehen können, wann, nach welchen Regeln und warum so und nicht anders geurteilt wird. Das ist derzeit nicht durchweg der
Fall. Wir haben sieben verschiedene Prozessordnungen, selbst Fachleute haben damit ihre Schwierigkeiten. Richter sollen sich auf ihr Kerngeschäft konzentrieren und Rechtsfrieden schaffen. Die Justiz muss sich im klaren darüber sein, dass sie dem Rechtsstaat und damit den Bürgern dient.
Besteht die Gefahr, dass, wenn Bürger Regeln des Staates und seines Rechts nicht mehr verstehen, sie zu extremem Wahlverhalten neigen?
Sehen Sie, zwei von fünf Wählern standen bei der Landtagswahl in Sachsen unserem demokratischen System mehr oder weniger ablehnend gegenüber - und haben NPD oder PDS gewählt. Wenn der Dritte von fünf Wählern "umkippt", kann unsere Grundordnung in Gefahr geraten. Deshalb ist es für mich so wichtig: Unsere Regeln sind inhaltlich gut; aber
sie müssen verständlicher werden.
Kann ein neues Versammlungsgesetz den Umgang mit Rechtsextremismus vereinfachen?
Mit Blick auf das beeindruckende Bürgerengagement am 13. Februar in Dresden bin ich mir nicht sicher, ob Sachsen hierzu überhaupt eine neue Regelung braucht. Die Verschiebung des gesetzlichen Rahmens wird die Braunen voraussichtlich auch nicht dämpfen. Die haben intelligente Berater und werden jedes neue Gesetz bis an die Grenze des gesetzlichen Machbaren ausloten. Wir müssen die bestehenden Gesetze mit aller Konsequenz anwenden. Dies schließt nicht aus, dass wir genau dort nachsteuern, wo es wirklich nötig wird.
Sie wollen die DANN-Analyse bei der Verbrechensbekämpfung ausweiten. Wird vom jedem ein genetischer Fingerabdruck genommen?
Mit Sicherheit nicht. Fahrlässigkeitstaten, Schwarzfahrten oder der erste Ladendiebstahl rechtfertigen für mich in der Regel keine DANN-Analyse. Ihre Nutzung sollte aber unter Beachtung rechtsstaatlicher Grundsätze ausgeweitet werden. Derzeit darf der genetische Fingerabdruck nur solchen Personen abgenommen werden, die bereits eine schwere Straftat begangen haben und von denen weitere schwere Straftaten zu erwarten sind. Ich möchte dieses Regel-Ausnahme-Verhältnis umdrehen: Im Zweifel hat die Sicherheit der Bürger Vorrang, so dass erst die Annahme, der Betroffene werde künftig keine erheblichen Straftaten begehen, eine DANN-Analyse ausschließt. Die Entscheidung hierüber möchte ich der Polizei an die Hand geben, die Details des Einzelfalls kennt.
Welche Kontrollmechanismen könnten einen Missbrauch der Daten verhindern?
Die Gefahr eines Missbrauchs sehe ich nicht. Viele Menschen fürchten, dass ihre Erbinformationen gespeichert werden. Das aber geschieht nicht, außerdem interessieren die Ermittler diese Daten nicht. Gespeichert werden nur die „nicht-codierenden Teile“ der DANN. Damit lassen sich nur die Identität und das Geschlecht feststellen. Die codierenden Teile dagegen, die Informationen zum Beispiel über Erbkrankheiten enthalten, werden nicht gespeichert. Das Ergebnis der Analyse erscheint als Zahlenkolonne. Diese Zahlenreihe enthält gar nicht mehr die Angaben, um die sich die Datenschützer so sorgen. Letztlich bergen zwar alle Ermittlungsmaßnahmen die Gefahr, dass der gesetzlich zulässige Rahmen überschritten wird. Illegal gewonnene Angaben dürfen aber vor Gericht nicht verwendet werden.
Wie kann sich der Einzelne gegen Abnahme seiner DANN wehren?
Betroffene können beim Verwaltungsgericht die Rechtmäßigkeit der Maßnahme überprüfen lassen, ebenso wie nach der Abnahme von Fingerabdrücken. Das bleibt in der öffentlichen Diskussion oft unerwähnt. Wenn die Überprüfung dem Kläger Recht gibt, müssen die Daten gelöscht werden.
Welche Haltung nehmen Sie gegenüber heimlichen Vaterschaftstests ein?
Ein Vaterschaftstest ist derzeit nur bei einer förmlichen Anfechtung der Vaterschaft möglich. Dafür müssen konkrete Anhaltspunkte, beispielsweise für einen Seitensprung der Mutter, vorliegen. Ich halte die Regeln für zu eng gefasst. Die Zulässigkeit der Vaterschaftstests sollte ausgeweitet werden. Dann brauchen wir keine heimlichen mehr.
Sachsen kann nur jedem zweiten Gefangenen Arbeit anbieten. Wie wollen Sie mehr Jobs als Beitrag zur Resozialisierung der Häftlinge finden?
Auch im Strafvollzug ist die Arbeitslosigkeit hoch. Wir gehen deshalb neue Wege. So überlegen wir, einen Bio-Bauernhof durch Gefangene zu betreiben, und suchen hierfür einen
Standort. Die Gefangenen könnten Bio-Gemüse anbauen, das dann vertrieben wird. Mehr Privatfirmen als bisher sollen Arbeiten in unseren Vollzugsanstalten in Auftrag geben können, wie das etwa einige Druckereien schon heute tun. Im Gefängnis können Sie Ihr Auto per Hand polieren lassen, Drechslerarbeiten oder Feuerkörbe günstig erwerben. Binnen zwei Jahren wollen wir die Beschäftigungsquote merklich erhöhen.
Mit 25 Jahren waren Sie 1975 Deutschlands jüngster Staatsanwalt. Wie wird man das?
Indem man vielleicht später geboren wird als die Mitbewerber? Ich habe immer gerne gearbeitet und mich um gute Arbeit bemüht. Aber weil ich damals gelegentlich bequem war, habe ich zu bestimmten Zeiten besonders konzentriert gearbeitet.
Was bewegt Sie außer dem Gericht und Büro?
Meine Familie und Kultur, vor allem Musik und Theater. Als Vorsitzender des Deutschen Richterbundes war ich jahrelang stark engagiert. Heute bin ich Mitglied im CDU-Ortsverein Striesen. In Lübeck habe ich eine Deutsch-Italienische Gesellschaft gegründet und Italienisch gelernt. Dafür werde ich erst wieder nach der Pensionierung Zeit haben. Doch Pasta esse
ich nach wie vor gern.
Kochen Sie die auch selbst?
Nein, wenn der liebe Gott gewollt hätte, dass ich koche, hätte er nicht so schöne Restaurants in Dresden zugelassen und meiner Frau nicht die Gnade des Kochens gegeben.
Gespräch: Katlen Trautmann