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SZ am Sonntag vom 28.03.2004

SZ am Sonntag 28.03.2004


„ Den einfachen Leuten wird zuviel zugemutet“


Stühlerücken. Die Dresdner Bundestagsabgeordnete Marlies Volkmer über den Streit in der SPD und über die neue Parteispitze.


Mit dem neuen Quartal wird für gesetzlich Versicherte wieder die Praxisgebühr von zehn Euro fällig. Ärgern Sie sich beim Bezahlen?

Als Ärztin kann ich mich meistens selbst behandeln. Da fällt keine Praxisgebühr an.


Dass Ihre Kollegen Bundestagsabgeordneten nur 20 Euro im Jahr zahlen müssen, hat für viel Unmut gesorgt.

Das geht auf eine Beihilfe-Verordnung des Bundesinnenministeriums zurück, in deren Genuss neben den Beamten auch beihilfeberechtigte Abgeordnete gekommen wären. Das war nicht nachvollziehbar und ist inzwischen auf Druck der SPD-Fraktion korrigiert worden. Bundestagsabgeordnete zahlen jetzt ganz normal die Praxisgebühr.


Zeigt die Praxisgebühr die gewünschte Wirkung?

Wir Sozialdemokraten wollten eine andere Form der Praxisgebühr: Beim Hausarzt, Augenarzt und Gynäkologen sollte keine Praxisgebühr erhoben werden und nur wer einen Facharzt ohne Überweisung aufsucht, hätte zahlen müssen. Die jetzige Regelung geht auf einen Kompromiss mit der CDU zurück. Trotzdem: Die Praxisgebühr zeigt steuernde Wirkung. Die Anzahl der Patienten bei Fachärzten sank seit Jahresbeginn deutlich. Das verkürzt die Wartezeiten für die Patienten, die einen Facharzt nötig brauchen, deutlich.


Mit dem geplanten Institut für Wirtschaftlichkeit und Qualität in der Medizin sollte Dresden Maßstäbe in der ärztlichen Versorgung setzen und sich bundesweit profilieren. Still ist es darum geworden. Wo bleibt es?


Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit wird es geben. Allerdings nicht - wie von uns Sozialdemokraten geplant - als unabhängiges Bundesinstitut, sondern in gemeinsamer Verantwortung der Ärzte und Krankenkassen. In meinem Wirken für ein solches Institut in Dresden habe ich keine Unterstützung, insbesondere in der hiesigen Ärzteschaft, gespürt. Dresden ist dadurch als Standort hinten heruntergefallen.


Bundeskanzler Gerhard Schröder sprach sich in seiner Regierungserklärung zur Agenda 2010 in dieser Woche für die Streichung der Eigenheimzulage aus. Besteht nicht wieder die Gefahr eines Aufstandes der SPD-Basis?


Die Förderung von Wohneigentum war historisch sinnvoll. In Deutschland haben wir aber keine Wohnungsnot mehr. Aus diesem Grund ist es besser, das für die Eigenheimzulage verwendete Geld für Zukunftsaufgaben auszugeben. Allerdings bin ich dafür, die Möglichkeit zu prüfen, ob Familien mit Kindern weiterhin in den Genuss dieser Förderung kommen können - zum Beispiel, wenn es sich um innerstädtisches Wohneigentum handelt.


Geht es nach dem Bundeskanzler, kommt ein Teil der Goldreserven der Bundesbank auf den Markt. Das Geld soll Forschung und Bildung zugute kommen. Fließt ein Teil des Geldes auch nach Sachsen?


Natürlich würde auch Sachsen davon profitieren.


Welche Regionen können hoffen?

Dresden als Stadt der Hochtechnologie zweifellos. Erst kürzlich wurde die hiesige Krebsforschung vom Bundesforschungsministerium als eines von sechs besonders förderwürdigen Projekten im Osten Deutschlands benannt. Schon heute fließen 176 Millioner Euro Förderung im Jahr in die sächsisch Landeshauptstadt. Diese hat eine Leuchtturm-Funktion für das Umland.


Die SPD auf Bundesebene wirkt auf Beobachter wie ein zerstrittener Debattierklub. Sechs Abweichler denken medienwirksam sogar über die Gründung einer eigenen Partei nach. Wie bekommt man die sozialdemokratischen Streithähne nach Ihrer Ansicht wieder an einen Tisch?

Der Wille zum Ziehen an einem Strang innerhalb der SPD kommt allmählich wieder zum Vorschein. Der Sonderparteitag am vergangenen Sonntag in Berlin verlief geradezu harmonisch. Klar gibt es unterschiedliche Bewertung von Parteibeschlüssen. Aber Beschlüsse der Mehrheit sind mitzutragen, auch wenn sie der eigenen Meinung manchmal widersprechen. So funktioniert Demokratie, und ich halte mich daran. Den Beschlüssen zur Agenda 2010 habe ich auf dem SPD-Parteitag im Sommer vorigen Jahres nicht zugestimmt, gleichwohl trage ich sie im Bundestag mit. Es kommt darauf an, die Reform so zu gestalten, dass extreme Ungerechtigkeiten vermieden werden.


Wie regelt man das im Einzelnen?

Bei der Gesundheitsreform zum Beispiel sollen die Sozialhilfeträger Gelder vorschießen, um sozial Schwache nicht über Gebühr zu belasten.


Ist die SPD-Basis zu aufmüpfig?

Es ist gut und richtig, dass die SPD so schwierige Fragen wie die Agenda 2010 breit diskutiert. Ich weiß, dass wir den einfachen Leuten viel zumuten. Wichtig ist klarzumachen, warum wir das tun. Erklärt man Beschlüsse der Partei samt Hintergründen richtig, erntet man zumindest Akzeptanz. Auch für scheinbar unpopuläre Reformen wie die Agenda 2010. Für den Osten halte ich diese in Teilen jedoch noch immer für wenig geeignet. In den neuen Bundesländern stellt sich die gesellschaftliche Realität im Vergleich zum Westen unterschiedlich dar. Im Osten finden Arbeitslose nun mal schwerer einen Job bei aller Mühe. Dem hätte stärker Rechnung getragen werden müssen.


Wie soll der neue Generalsekretär Klaus-Uwe Benneter die Sozialdemokraten wieder zusammenführen?


Klaus-Uwe Benneter kann gut, zuhören und Probleme analysieren, wie ich bei der gemeinsamen Arbeit im Unterausschuss Europarecht im Bundestag erlebe. Wenn er in den Ortsvereinen mit den Leuten redet, kann er einen guten Beitrag leisten. Im Mai wird er auf meine Einladung Dresden besuchen. Der konkrete Termin steht aber noch nicht fest.


Bietet Benneter, der für seine Thesen zum staatsmonopolistischen Kapitalismus einst aus der SPD ausgeschlossen wurde, nicht das beste Beispiel für Widerstand in den eigenen Reihen?


Klaus-Uwe Benneter weiß aus eigener Erfahrung am besten, wie schwer es manchmal ist, mit Beschlüssen der Partei umzugehen. In Berlin appellierte er an alle, die in den vergangenen Jahren aus der SPD austraten, zurückzukehren und hier mit zu streiten. Wenn jeder geht, der eine von der Mehrheit abweichende Meinung hat, führt das zu einer stromlinienförmigen Partei. Das schadet der politisch notwendigen Auseinandersetzung.


Ist der Aufbau Ost noch Chefsache?


Er ist durch die riesigen außenpolitischen Aufgaben im vergangenen Jahr etwas in den Hintergrund getreten.


Wo hat der Einfluss des Kanzlers für den Osten vergangenes Jahr gegriffen?


Schwierig. Aber die Verkehrsprojekte werden trotz Ausfällen bei der Maut nicht gestrichen. Ohne die Bundesbürgschaft könnte das neu AMD-Werk in Sachsen nicht gebaut werden Die enorme Forschungsförderung für Projekte in Dresden habe ich bereits erwähnt.


Franz Müntefering soll als neuer Parteichef die Splittergruppen in der SPD wieder bündeln und Schröders Politik besser unter Parteimitgliedern und Wählern verkaufen. Welche Impulse könnten Sachsens Sozialdemokraten bekommen?


Franz Müntefering besitzt großen Rückhalt unter den Parteimitgliedern, wie das Wahlergebnis und der Parteitag zeigte. Läuft es in der Bundespolitik, strahlt so etwas immer positiv auf die Länder ab.


DAS GESPRÄCH FÜHRTEN KATLEN TRAUTMANN UND RALF HÜBNER

 

Katlen Trautmann • Tel.: 0351 31 777 81 • Fax: 3222 375 4 357 • Funk: 0171 26 66 354 • Email: katlen.trautmann@t-online.de

 
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