Sächsische Zeitung, April 2007
Erfolg der Xing AG von Junggründer Lars Hinrichs erinnert an die Technologie-Euphorie der Jahrtausendwende.
Katlen Trautmann
Lars Hinrichs kokettiert mit Insolvenz, als wäre sie ein glänzendes Geschäft. Einen Satz wie „Das Wichtige an Fehlern ist, dass man sie nicht noch mal macht“, sagt er gern. Der 34-Jährige leistet sich Gelassenheit. Er ist derzeit der deutsche Internet-Vorzeigeunternehmer.
„Gründer sind beratungsresistent und Überzeugungstäter“, analysiert er die Zunft. Dass er bei einer Pleite schon einmal 3,5 Millionen Euro in den Sand gesetzt hat, nennt er beim Gründerfoyer an der Technischen Universität Dresden Ende Mai „keine angenehme Situation“. Doch scheint er genauer als andere zu durchdenken, was Wirtschaft im Internet soll, kann und darf.
Inspiriert habe ihn die Frage, wie sich die Kontakte seiner Bekannten sicht- und nutzbar machen lassen. Rund 2000 Leute kennt er nach eigenen Angaben. Er sieht sich als „Connector“, als „Verbinder“. Die Netzwerkplattform Open Business Club (Open BC) AG – die am Mittwoch in Xing AG umgetauft wurde – ist das Ergebnis.
Auf der Webseite kann jeder seinen Lebenslauf mit Profil und Interessen einstellen und Kontakte zu anderen Teilnehmern knüpfen. Zur Gründung machten 472 Leute davon Gebrauch, heute sind es rund zwei Millionen. „Mit-mach-Internet“ nennt Hinrichs das.
In Großstädten erreicht Xing bis zu acht Prozent der Bevölkerung, in Dresden sind es 1,6 Prozent. Rund drei Prozent der Nutzer springen monatlich ab, im ersten Quartal 2007 stießen jedoch 350000 dazu. Sondersuchfunktionen erleichtern das Stöbern, sogar Firmendaten und Wünsche nach Jobwechsel werden öffentlich gemacht. Professionelle Personalsucher („Headhunter“) schätzen das. Etwa sechs Euro schlagen für die Spezialdienste monatlich zu Buche. Lieber wenig Einnahmen, aber dafür dauerhaft, lautet die Devise des Kaufmannssohnes. 258000 Nutzer zahlen. In 16 Sprachen – darunter koreanisch, polnisch und japanisch – wird parliert.
Mit „Open BC“ und 30000 Euro startete der Jungunternehmer 2003. Bei privaten Geldgebern sammelte er weitere 950000 Euro ein. Beim Börsengang im Dezember kamen 37 Millionen Euro zusammen. Die Aktie liegt derzeit mit etwa 38 Euro deutlich über dem Einstandspreis von 30 Euro.
Dem Zufall überlässt Hinrichs die Zügel ungern. Zur Namenswahl „Xing“ sagt er: „Die Buchstaben sitzen weltweit an den gleichen Stellen der Tastaturen. Dass es auf Chinesisch „Ich kann es“ heißen soll, ist möglicherweise eine Anekdote; 200000 asiatische Nutzer sind dagegen Tatsache.
Die 87 Mitarbeiter aus 16 Nationen handhaben bis zu 50Millionen Kontakte. Der Umsatz von zuletzt zehn Millionen Euro 2006 soll dieses Jahr verdoppelt werden. Gestern gab die Xing AG, die ihren Sitz mitten in Hamburg am Gänsemarkt hat, ihren Markteintritt in die USA bekannt. Dass so viele Leute freiwillig so viele Daten von sich im Internet preisgeben, erstaunt Hinrichs nicht. „Spuren im Netz hinterlassen wir so oder so. Mit Xing können Sie die Form wenigstens besser steuern“, sagt er. „Voyeurismus, Exhibitionismus und Funktionalismus“ seien die Triebfedern der Selbstdarstellungen. „Grundsätzlich geht es darum, schneller die relevanten Leute für das eigene Anliegen zu finden.“
Kein Problem mit Klatsch<7b>
Wenn Kritiker Xing als eine Art gehobene Klatsch- und Datingbörse bezeichnen, perlt das an Hinrichs ab: „Damit kann ich leben. Klatsch ist auch Kommunikation.“ Dem gehen Angestellte offenbar gern nach: Rund acht Prozent der Mitarbeiter der Deutschen Bank haben sich bei Xing eingeschrieben und 63 Prozent der ehemaligen Mitarbeiter des insolventen Handyherstellers Benq. „Die Pleite von Benq hätte man am Hochschnellen der Anmeldungen vorhersagen können. Die Leute hatten begonnen, nach Jobs Ausschau zu halten“, sagt Hinrichs.
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