Sächsische Zeitung, 26.Juni 2006
Offenheit als erster Schritt
Von Katlen Trautmann
Wenn Anne Koark Visitenkarten überreicht, geraten Menschen ins Stottern. „Pleitier“ nennt die Karte als Beruf, sonst nichts. Die gebürtige Engländerin führte ihre Firma „Trust in Business“ am Flughafen in Freising bei München bis zum Jahr 2003. Das Unternehmen mit fünfzehn Angestellten ging dann den Bach runter. Koark stellt sich heute gern als „VIP“ vor – „Very Intensivly Pleite“, wie sie sagt. „Muss denn das sein“, stöhnen Gesprächspartner ob solcher Offenheit.
Als Versager abgestempelt
Über Pleiten spricht man nicht, lautet ein ungeschriebenes Wirtschaftsgesetz in Deutschland. Insolvenz besiegelt das Sterben eines Geschäftsmodells. Der Unternehmer bleibt abgestempelt als Versager meist allein mit den Schulden und dem beschädigten Ruf. Verbände und Organisationen, darunter der Bund der Selbstständigen und der Landesverband der Freien Berufe Sachsen e. V., wollen gegensteuern und appellieren an den Pioniergeist. „Mut zur aktiven Krisenbewältigung“ nennt es Professor Ralph Sonntag von der Hochschule für Technik und Wissenschaft (HTW).
Mut hat Anne Koark bewiesen, auch Sicherheitsbewusstsein. Ihre 1999 gegründete Firma bot ausländischen Unternehmen Unterstützung bei der Ansiedlung in Deutschland an. „Zwei Stunden nach Start der Internet-Seite meldeten sich zwei Kunden aus dem Silicon Valley“, erinnert sich Koark. Das als Notlösung eingerichtete Büro im Bauernhaus erweist sich wegen der Nähe zum Flughafen als ein Glücksgriff. Als „Erin Brockovich des Mittelstandes“ feiern Medien die alleinerziehende Mutter. Ganzseitige Berichte über das bayerische Unternehmen schmücken US-amerikanische Magazine, der kanadische Premierminister nutzt ihr Know-how bei einem Deutschlandbesuch.
Dickes Fell nötig
Als der Umsatz binnen Monaten um 1 200 Prozent klettert, glaubt auch die skeptische Engländerin an den Durchbruch. „Es lief gigantisch“, sagt sie. Der Wechsel von nebenberuflicher Arbeit zum Hauptjob samt Mietvertrag für Büroräume scheint reine Formsache. Und dann kommt der 11. September 2001: Kein Unternehmer besucht mehr Deutschland. Hilfe ist nur noch auf elektronischem Wege erwünscht. Kunden sagen ab, gehen selbst pleite. Die Firmenräume werden zu groß. Der Kampf um Kostensenkung löst die Probleme nicht. Mit Ausbruch des Irak-Krieges springt ein potenzieller Investor ab. Das Aus der Firma ist besiegelt.
Spätestens ab diesem Zeitpunkt brauchen Unternehmer in Deutschland ein besonders dickes Fell. Professioneller Rat findet sich spärlich und selten kostenlos. Die eigene Existenz bleibt oft ungesichert. „Mit solchen wie Ihnen wollen wir nichts zu tun haben“, lässt eine Angestellte des Arbeitsamtes Koark wissen, als die Ex-Unternehmerin mit Nachweisen früherer Angestelltenjobs um Geld bittet.
Bremsklötze wegräumen
Insolvenzen bedeuten neben persönlichen Tragödien die Vernichtung volkswirtschaftlicher Werte. Die Sächsische Aufbaubank kann zu verschiedenen Zeitpunkten vor und nach dem Insolvenzantrag Bremsklötze in die Talfahrt der Existenzgründer werfen. Das bundesweit einmalige Beratungszentrum „Konsolidierung“ dient der Krisenintervention, sagt der Geschäftsführer der 1997 gegründeten Sächsischen Beteiligungsgesellschaft, Jan Güldemann.
Das Zentrum führt jährlich 3 000 kostenlose Gespräche, die Gesellschaft ist spezialisiert auf Restrukturierungsbeteiligung. Zum Insolvenzplan werden bis zu 10 000 Euro aus dem „Kunst“-Fonds („Krisenbewältigung und Neustart“) zugeschossen. Die „Rettungsbeihilfe“ sichert ein halbes Jahr die Liquidität der Firma. Umstrukturierungsbeihilfen fließen bis zu fünf Jahre.
Neustart möglich
„Einziges Kriterium ist die Marktfähigkeit“, sagt Güldemann. Das Arbeitsplatzargument greift weniger. Der Erfolg sei „relativ hoch“. Eine Insolvenz sei nicht das Schlimmste, glaubt der Banker. Das Institut für Mittelstandsforschung Bonn hat nachgewiesen, dass Unternehmer mit einem Neustart zwischen elf und 18 Prozent mehr verdienen als in der ersten Runde.
Anne Koark ging mit der Geschichte ihrer Insolvenz in die Öffentlichkeit. Die Gläubiger erhielten einen Brief, die Redaktionen Pressemitteilungen. Ihr Buch „Insolvent und trotzdem erfolgreich“ gibt Rezepte zum Wiederaufstehen und führte wochenlang die Bestsellerlisten von Wirtschaftsbüchern an. Den Deutschen bescheinigt sie Sinn für Humor: Koark wurde mit dem Lady Business Award 2004 und dem Sonderpreis beim Großen Preis des Mittelstandes 2005 ausgezeichnet – dabei besaß sie zu der Zeit gar keine Firma mehr.
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