Sächsische Zeitung,
Forschen für den kleinen Unterschied
Von Katlen Trautmann
Die ersten Spracherkennungssysteme reagierten wie Machos. Sie ignorierten Ansagen von Frauen. Der Fehler im Fall der Software lag darin, dass sie nicht bei Frauen getestet wurden und weibliche Stimmlagen nicht erkannten. Kein Einzelfall, weiß Dr. Martina Schraudner von der Fraunhofer-Gesellschaft (FHG) München. Nur träge stellen sich Unternehmen auf breite Käuferschichten ein. Doch Kunden ticken je nach Alter, Bildung und kulturellem Hintergrund unterschiedlich, zeigt die aktuelle FHG-Studie „Discover Gender“. Dabei lässt sich mit feiner auf Kunden abgestimmten Produkten durchaus Geld verdienen.
In deutschen Forschungs- und Entwicklungsabteilungen haben Männer das Sagen. Die Forscher fassen vor allem eine Zielgruppe ins Auge - sich selbst. „Ein Ingenieur mittleren Alters entwickelt nur für seinesgleichen, hat einen bestimmten Verwendungszweck vor Augen und lässt andere Anwendungen außer Acht“, hat Projektleiterin Schraudner gefunden.
Frauen – keine kleinen Männer
Teuer können auch kulturelle Unterschiede werden. Der amerikanische Konzern General Mills (Minnesota) landete in Japan mit Kuchenbackmischungen einen Millionenflop. Lediglich drei Prozent der japanischen Haushalte verfügen über einen Backofen. Ein in Deutschland konstruiertes Brunnenprojekt für Afrika musste überarbeitet werden. Die Forscher entschieden sich für eine Podestkonstruktion. Die afrikanischen Frauen lehnten sie ab, denn entsprechend der regionalen Kleiderordnung tragen sie Röcke. Auf dem Podest wären sie den Blicken anderer preisgegeben.
Der wissenschaftliche Tunnelblick kann lebensgefährlich sein. Die Überlebenswahrscheinlichkeit von Frauen nach einem Herzinfarkt liegt niedriger als die von Männern. Belegen kardiologische Studien. Medizinisches Schmalspurdenken ist dafür verantwortlich. Die als typisch angesehenen Symptome wie Schmerzen oder Enge in der Brust treffen für Männer zu. Frauen leiden an Rückenschmerzen, Müdigkeit und sogar Magenbeschwerden. Dass Forscher bei der Entwicklung des Airbags von der durchschnittlichen Größe eines Mannes ausgingen, kostete Babys das Leben. Der Luftsack in Autos verletzte sie bei der Explosion tödlich. Schwangere verzichten oft auf den Sicherheitsgurt, um das ungeborene Kind nicht zu schädigen und gehen so Risiken ein. Trotzdem spielen die Unterschiede bei Mitarbeitern und Kunden - Alter Geschlecht, Herkunft oder sexuelle Orientierung - im Unternehmensalltag kaum eine Rolle.
Der Roboter bringt Würstchen
Dabei halten Frauen und Männer, Junge und Ältere mit ihren Wünschen nicht hinter dem Berg. „Genderforschung kann zu völlig neuen Produkten und Technologien führen“, zeigt sich Schraudner überzeugt. Senioren wünschen im Gegensatz zu Jugendlichen Handys mit großen Tasten, einfacher Bedienung und wenig Funktionen.Von einem Haushaltsroboter (“Care-O-Bot“) wünschen sich Senioren, dass er Essen und Trinken bringt, ergab eine FHG-Umfrage. Ältere Damen erhoffen sich Hilfe im Haushalt oder bei der Körperpflege. Verpackungen, die das Verderben von Waren - Essen oder Kosmetik - anzeigen, wecken bei Frauen deutliches Interesse. Männer finden den intelligenten Kühlschrank, der Waren selbständig nachbestellt und Ernährungstipps gibt, spannender. Patienten mit hohem Herzinfarkt-Risiko haben kein Problem, deutlich sichtbare Notrufknöpfe beispielsweise an der Armbanduhr zu tragen. Frauen wünschen dezente Signalknöpfe. „Sie fürchten, sich erklären zu müssen“, hat Schraudner bemerkt. Solche Gender-Feinheiten bedeuten Unternehmen oft böhmische Dörfer.
Was Frauen wollen
Der schwedische Autokonzern Volvo hat es zumindest versucht. Der von einem neunköpfigen Frauenteam entwickelte „YCC“ mit Sechsgang-Schaltung am Lenkrad, elektronischer Handbremse und Fächern für Handtasche und Handy wird jedoch voraussichtlich ein Prototyp bleiben. Hersteller glauben, dass Frauen wie Männer kein „Frauenauto“ kaufen wollen. Andere Firmen sind schon weiter: Das japanische Unternehmen Canon vermarktet bei Frauen sehr erfolgreich die Fotoapparat-Serie IXUS mit hochwertiger technischer Ausstattung. Mit dem Ski „Balanze“ des österreichischen Herstellers Atomic sollen Frauen eleganter wedeln können, weil er im Vorderskibereich kürzer als Männermodelle gehalten ist.
Sprecht mal deutlicher
Der Frauenanteil am wissenschaftlichen Personal liegt den Angaben zufolge gegenwärtig bei etwa 26 Prozent, in höheren Etagen bei rund 12 Prozent. Offenbar zuwenig, um gehört zu werden. „Vorschläge von Frauen werden oft als private Ansicht von Einzelkämpfern abgetan“, sagte Schraudner. Die Entwickler ignorieren Kundenwünsche keineswegs vorsätzlich, haben die Studienmacher gefunden. „Daran haben wir nicht gedacht“, zitiert Schraudner die typische Antwort auf einen von der FHG entwickelten Fragebogen. Der Katalog soll für Genderfragen sensibilisieren und Fehlentwicklungen vermeiden. Die ersten Reaktionen seien „sehr positiv“.
Was bedeutet Gender?
Der englische Begriff beschreibt die gesellschaftlich und kulturell geprägten Rollen von Männern und „Frauen und definiert die Aufgabenbereiche und Zuständigkeiten im Alltag. Mit dem tatsächlichen Geschlecht des Einzelnen muss diese Rolle nur teilweise übereinstimmen. Ein „Hausmann“ agiert in der bislang typischen Rolle für Frauen. (kat.)
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